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Copy and Jail?

Der immer bedenklicher werdende "Shock and Awe"- Feldzug der Musik- 
und Filmindustrie - kollektive Verleumdung als letztes Aufgebot?

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Im Wochenrhythmus bekommen wir es in letzter Zeit warm und kalt serviert: Zunächst die zu Tränen rührende "Send them back" Initiative (Telepolis-Artikel vom 20.11.2003) des Vereins "Parents and Their Kids against Stealing". Nun ja, was soll man dazu sagen. "Typisch amerikanisch" ist wohl das, was gerade noch nicht unter "ehrenrührig" fällt. Jeder, der vermutet, dass da die Musikindustrie selbst dahintersteckt, muss sich natürlich des Beweisnotstandes bewusst sein, der ihm droht, wenn er geklagt wird. Man kann ja nur hoffen, dass die Geläuterten die Musikfiles auf CD's brennen und sie per Post zurückschicken. Auf diese Weise würde das angeschlagene Postwesen saniert und gleichzeitig auch Urheberrechtsabgabe (über die Rohlinge) nachgezahlt. Nicht auszudenken, wenn plötzlich das Internet durch Millionen von zurückgesendeten Files verstopft würde.

Und nun kam nach Berichten über widersprechende Statistiken und Prognosen schließlich noch die Anti-Piraterie-Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher" (ORF-Artikel vom 27.11.2003). Über eine Millionen schwere Aufklärungskampagne soll das verlorengegangene Unrechtsbewusstsein wieder entwickelt werden. Ein starkes Stück, wenn man näher untersucht, wer da alles ins schwerkriminelle Eck gedrängt wird. Was geht da vor? Stehen wir vor der größten Meinungsmanipulation aller Zeiten?

Der Hintergrund

Eine der reichsten Industrien kämpft ums Überleben. Die Musikindustrie, die mit dem mittlerweile antiquierten Medium CD viel Fett angesetzt und jahrelang das Internet verschlafen hat, hat mitbekommen, dass sich das Kaufvolk verselbstständigt hat. Und nun muss ein Sündenbock her. Nicht die seit Jahren überhöhten CD-Preise sind schuld am Rückgang der Verkaufszahlen, nicht die nach den gravierenden Geburtenrückgängen kleiner werdende Zahl von Jugendlichen, nicht die schlechtere Wirtschaftslage, nein, ausschließlich die Raubkopierer reduzieren den Profit.

Der Begriff "Raubkopierer" wird von den handelnden Personen bewusst in einem sehr diffusen Sinn verwendet, so, als wäre alles eine Raubkopie, was nicht gekauft ist. Somit wird schnell klar, dass das zugleich ein Anschlag auf die Privatkopie ist. Alles, was nicht bezahlt ist, gilt somit als geraubt. Als Totschlägerargument werden dann immer die gewerblichen Schwarzbrennereien angeführt, die Tausende CD's täglich kopieren. Bereits im nächsten Satz werden aber auch alle Tauschbörsen-User in den gleichen Sack gesteckt und geprügelt. Sie seien überhaupt der Grund, warum den Plattenlabels Millionen an CD-Verkäufen entgingen. Unterstellt wird dabei großzügig, dass die Download-Kids jede CD kaufen würden, wenn sie sie nicht gratis über das Internet bekämen. Nun, wenn man im Geld schwimmt, kann man sich schwer vorstellen, dass sich ein durchschnittlicher Jugendlicher höchstens eine CD im Monat leisten kann.

Ein Rückblick in das vordigitale Zeitalter

Die Masse der Jugendlichen war immer schon musikbegeistert und hatte nie das Geld, diese Musik zu kaufen. Ich habe mir noch mit einem Spulentonbandgerät behelfen müssen. Damit bin ich nächtelang vor dem Radio gesessen und habe das schwere Gerät zu Freunden geschleppt, die in der Familie schon einen Plattenspieler und Schallplatten hatten. Ich habe auf diese Weise Musik gesammelt, mit der ich wochenlange Partys beschallen hätte können und musste dabei auch kein schlechtes Gewissen haben. Das war alles völlig legal, auch wenn die Musikindustrie schon damals die Abschaffung der Privatkopie verlangte, vor allem, als dann die Tonbandkassette auf den Markt kam. Bekommen hat sie die Leerkassettenabgabe, das Recht der Privatkopie ist geblieben.

Die Privatkopie im digitalen Zeitalter

Heute, rund 20 Jahre später, haben es die Jugendlichen wesentlich leichter. Sie brauchen sich nicht mehr über dreinredende Radiomoderatoren ärgern und sie können sich die gewünschte Musik in einem Bruchteil der Zeit besorgen. Das ist ein Vorteil. Nicht unbedingt ein Vorteil der Menge, aber ein Zeitvorteil. Um an eine Stunde Wunschmusik zu gelangen, muss man nicht mehr zwei bis drei Stunden Freizeit opfern, sondern höchstens eine halbe. Ob das dazu führt, dass noch mehr Musik kopiert wird, ist fraglich. Ich konnte mir damals schon aus Zeitmangel die Musik nur selten anhören; wenn ich doppelt soviel gehabt hätte, hätte ich auch nicht mehr verwenden können. Abgesehen davon interessieren sich Jugendliche ohnedies meist nur für ganz wenige, momentan aktuelle Songs. Auch das Argument, dass jetzt in hoher Qualität, quasi eins zu eins kopiert wird, geht bei den Tauschbörsen daneben. MP3-Stücke sind nur selten high Fidelity und müssen es, betrachtet man die Wiedergabegeräte, auch nicht sein; darauf kommt es nicht an. Die Behauptung, die Tauschbörsen ruinierten den Umsatz, hält daher einer kritischen Beurteilung nicht Stand.

Die Abgrenzung Raubkopie - Privatkopie

Um diese Behauptung  näher überprüfen zu können, kommt man nicht umhin, dass man den Begriff "Raubkopie" definiert und vor allem von der zulässigen Privatkopie, die es auch noch immer gibt, abgrenzt. Dabei stellt man fest, dass die Gesetzeslage noch immer relativ liberal ist. Der die freie Werknutzung der Vervielfältigung zum eigenen und privaten Gebrauch regelnde § 42 Urheberrechtsgesetz lautet in seinem Absatz 4:

"Jede natürliche Person darf von einem Werk einzelne Vervielfältigungsstücke auf anderen als den in Abs. 1 genannten Trägern (dort sind Papier u. ähnliches gemeint) zum privaten Gebrauch und weder für unmittelbare noch mittelbare kommerzielle Zwecke herstellen".

Das ist bereits die durch die Urheberrechtsnovelle 2003 verschärfte Form. Es ist in der Rechtsprechung unumstritten, dass man von jedem Werk, somit auch von jeder CD, unter diesen Voraussetzungen mehrere Kopien für sich oder unentgeltlich zum eigenen Gebrauch eines anderen anfertigen darf. Voraussetzung ist nicht, dass einem das Werk gehört. Der Oberste Gerichtshof hat zwar unter Berufung auf eine deutsche Kommentarstelle festgehalten, dass "das Gesetz als selbstverständlich voraussetze, dass die Vervielfältigung mittels eines rechtmäßig erworbenen Werkstückes geschieht" (4 Ob 80/98p). Eine CD, die ich mir von einem Freund ausleihe, ist aber nicht unrechtmäßig erworben; ich darf sie daher für private Zwecke kopieren (ich darf nur keinen Kopierschutz umgehen). Eine Rundfunksendung, die ich aufnehme, ist ebenfalls nicht unrechtmäßig erworben. Dasselbe trifft auf eine Musik-Datei zu, die ich im Internet finde, sei es im Rahmen einer Tauschbörse oder an einem anderen Ort. Dass dieses Werk dorthin gekommen ist, mag illegal sein, mein Erwerb ist es nicht. Im Gegensatz zu dem Fall, den der deutsche Kommentar im Auge hat (gestohlene Dias), wird hier nichts gestohlen.

Der Downloadende handelt daher nicht illegal, schon gar nicht ist er ein Straftäter. Hingegen handelt jemand, der fremde Werke im Internet veröffentlicht (Zurverfügungstellung nach § 18a UrhG) illegal und macht sich damit auch strafbar. Er ist aber dennoch kein Verbrecher, weil das Urheberrechtsgesetz Urheberrechtseingriffe nur unter die leichten Delikte einreiht. Verbrechen sind nach § 17 Strafgesetzbuch nur Delikte, die mit mehr als 3-jähriger Freiheitsstrafe bestraft werden, alles andere sind bloße Vergehen. 

§ 91 UrhG sieht aber für Urheberrechtsverletzungen nur Freiheitsstrafe bis 6 Monate oder Geldstrafe bis 360 Tagessätze vor. Bei gewerbsmäßigem Handeln erhöht sich die Obergrenze auf 2 Jahre. Auch in diesem Fall liegt aber noch kein Verbrechen sondern nur ein Vergehen vor. Darüber hinaus ist gewerbsmäßiges Handeln bei einem Tauschbörsennutzer denkunmöglich. Gewerbsmäßiges Handeln läge etwa vor, wenn jemand laufend CDs brennt und aus dem Verkauf ein regelmäßiges Einkommen erzielt. Ein Tauschbörsenuser handelt auch dann nicht gewerbsmäßig, wenn er neben dem Upload auch Musik herunterlädt, weil Up- und Download nicht in einem rechtlichen Austauschverhältnis stehen. Beides ist vielmehr unabhängig voneinander möglich. Nach einer amerikanischen Untersuchung nimmt der Großteil der User nur passiv an den Tauschbörsen teil, stellt selbst also keine Musik zur Verfügung. Einfache Urheberrechtsverstöße sind daher nach österreichischem Recht lediglich leichte Vergehen, aber niemals Verbrechen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist in Österreich wegen eines derartigen Deliktes noch nie jemand in Haft gewesen. 

Wo gibt es dann in diesem Umfeld überhaupt Raubkopien? Tatsächlich verboten ist das Kopieren eines Werkes zum Zwecke der entgeltlichen Veräußerung oder um es der Öffentlichkeit (auch unentgeltlich) zur Verfügung zu stellen, also auch das Speichern auf der Festplatte, um es im Rahmen einer Tauschbörse anzubieten.

Ein rechtliches Problem bei den Tauschbörsen sind daher die Anbieter, nicht die Konsumenten. Zum Leidwesen der Musikindustrie sind aber in Österreich und anderen europäischen Ländern auch die Anbieter schwer ausfindig zu machen, weil das Kommunikationsgeheimnis eine Preisgabe der Userdaten verhindert. Siehe Provider - Auskunft über Kundendaten

Der Psycho-Krieg

Gegen die Tauschbörsen ist daher derzeit mit rechtlichen Mitteln kaum anzukommen. Also versucht es die Musikindustrie mit psychologischer Abschreckung. Millionen-Klagen werden inszeniert und medial aufbereitet. Daneben setzt man Zuckerbrot und Peitsche ein. Nur dass man dabei weit über den Delinquentenbereich hinausgeht und alle in einen Topf wirft, die nur irgendwie zur Misere - sinkende Absatzzahlen - beizutragen scheinen, frei nach dem Motto: Jede verhinderte Kopie ist eine verkaufte CD mehr. Das Üble dabei ist, dass bewusst Mitbürger kriminalisiert werden, die sich völlig legal verhalten. Man könnte das auch als kollektive Verleumdung sehen. Auf Verleumdung stehen in Österreich 6 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe, also weit mehr als für jedes Urheberrechtsvergehen. Dass daneben  tatsächliche Urheberrechtsübertreter als Verbrecher tituliert werden, die man zu Schwerkriminellen ins Gefängnis stecken muss, fällt dabei als bloße, schamlose Übertreibung nicht mehr ins Gewicht.

Resumee

Die Devise lautet offenbar: "Gibst Du mir nicht das Gesetz, das ich will, verlautbare ich mein eigenes". Es ist aber sehr bedenklich, wenn sich eine winzige gesellschaftliche Gruppe anmaßt, Regeln, die sich im demokratischen Prozess nicht durchsetzen lassen, quasi über eine Medienkampagne durchzudrücken und Urheberrechtsübertreter den Schwerkriminellen gleichzustellen . Ich bin daher froh, dass die Verantwortlichen in Österreich bei dieser Kampagne nicht mitmachen. Möglicherweise ist der Markt in Österreich auch einfach zu unbedeutend, als dass sich derartige Kampagnen rentieren würden. Und dann ist da halt auch immer noch die Gefahr, dass der Schuss nach hinten losgeht, die Leute es nicht goutieren, wenn sie oder ihre Kinder als Verbrecher hingestellt werden, und die Politiker mehr auf das Wahlvolk als auf IFPI & Co hören.

Siehe auch:

28.11.2003 (Ergänzungen 2.12.2003)

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Franz Schmidbauer

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